„... in Mannheim die Fabrik”
VORWÄRTS, DOCH NICHT VERGESSEN – 125 JAHRE METALLGEWERKSCHAFT
Gelungene multimediale Aufführung am 01. Oktober im Mannheimer CAPITOL
Ein Rückblick von Bernd Köhler (Fotos: Helmut Roos)
Als ich 1971 nach meinem, mit Ach und Krach gemeisterten Abitur (eine »Auszeichnung« im Fach Kunst soll nicht unerwähnt bleiben ;), in einem Umfragebogen des baden-württembergischen Kultusministeriums unter der Sparte Berufswunsch, »Multimediakünstler« eintrug, gab es diesen Begriff eigentlich noch gar nicht. Auf einer DOKUMENTA in Kassel hatte ich die Bezeichnung aufgeschnappt, die mir und meinem ganzheitlichen Anspruch an eine zukünftige künstlerisch-politische Arbeit am besten gerecht zu werden schien. Wie die Jahrzehnte danach beweisen lag ich damit nicht ganz falsch, denn es folgten eine ganze Reihe multimedialer Programme oder Aufführungen. In der Region oder anderswo. Zwei möchte ich heute besonders hervorheben:
1999 die Aufführung »Howdo youdo Mister Majakowski«*, im Mannheimer LAGERHAUS. Ein Programm über den russischen Revolutionspoeten zu dessen 70sten Todestag. Es war auch die Geburtsstunde der Formation ewo2 (das kleine elektronische weltorchester).
und 2016 – »Vorwärts, doch nicht vergessen!« im Mannheimer CAPITOL. Einem Zusammenspiel von Text (gesprochen, projiziert), Licht, Film, Bildeinblendungen, Liedern und unterschiedlichster Musik, die am Abend, dank dem souveränen Auftritt aller Beteiligten, zu einer mitreißenden Einheit zusammenwuchs. Wohlgemerkt, am Aufführungs-Abend selbst, denn die Möglichkeit und den Platz für gemeinsame Proben im Vorfeld hatten wir nicht, so dass sich die Idee erst in der Aufführung selbst beweisen konnte. Dafür mein großer Dank an alle Akteure und vor allem auch an die Mannheimer IG Metall, die mir bei der Konzeption und Planung nicht nur freie Hand lies, sondern diesen Abend GENAU SO wollte.
»Danke für die Einladung und Danke für den Abend. Jede Sekunde der einzelnen Beiträge, alles total gut. Ich habe mich schon lange nicht mehr so einem intelligenten Genuss hingeben können.« schrieb mir der Mannheimer Maler Rainer Negrelli am Tag danach in einer Mail. Es war eine von vielen Rückmeldungen. Dass der Berichterstatter der Mannheimer Lokalpresse (MM) auch diesmal von der besonderen künstlerischen Qualität nichts mitbekam, überraschte mich nicht.
Eine Dokumentation als CD oder Video, die von einigen angefragt wurde, habe ich in der Komplexität der Vorbereitung leider aus dem Blick verloren. Was bleibt, ist die Erinnerung im Kopf und die Gewissheit, dass es sicher nicht der letzte Abend dieser Art gewesen sein wird. Einen gewissen Eindruck von der Atmosphäre geben die Fotos von Helmut Roos – auch dafür und an ihn, ein herzliches merci.
Und Ja, von den A0-Großplakaten mit dem Veranstaltungsmotiv sind noch einige zu haben. Gegen Überweisung von 10 Euro Versandkosten schicke ich euch diese gerne knitterfrei zu. Solange vorhanden.
Einige haben auch nach der Webadresse der ALLES MONNEM – Seite gefragt. Ich hatte diese im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um den GE- (früher Alstom-)Standort erwähnt. »ALLES MONNEM«, diese liebevoll aufgemachte Seite mit persönlichen Einblicken in das Stadtgeschehen, findet ihr > HIER
*Eine Neuauflage des Majakowski-Programms ist übrigens am 24. November im Ernst-Bloch-Zentrum in Ludwigshafen zu hören und zu sehen. Zusammen mit dem russischen Poeten Daniil Da und Claus Boesser-Ferrari.
Der Jazz-Saxophonist Christl Marley eröffnete das Programm mit einer freien Improvisation über das Solidaritätslied (... Vorwärts, doch nicht vergessen) von Brecht/Eisler – mit ebenso freiem Übergang in das von ewo2, Bernd Köhler und dem Chor GEgenwehr interpretierte Lied selbst
„EWO2 – das kleine elektronische Weltorchester” aus Mannheim. Mit Joachim Romeis (Geige), Bernd Köhler (Gesang, akustische Gitarre), Jan Lindqvist (Dobro, E-Gitarren) und Laurent Leroi (Akkordeon), die musikalisch exzellente „Backline” für die Liedbeiträge des Abends
Die Schauspielerin Bettina Franke trug mit historischen Texten und Gedichten wie durch pointierte eigene Stellungnahmen wesentlich zum Gelingen des Abends bei
Mit dem wunderbar selbstironischen Reinhard Mey-Song „Ich bin Klempner von Beruf” kommentierte Alex Fuß von der Gruppe „Querbeat” den, von den Mannheimer Klempnern im Jahr 1907 erkämpfen, ersten gewerkschaftlichen Tarifvertrag im Metallbereich Mannheim
Das „Soldatenlied” von Erich Mühsam erinnerte an die revolutionären Arbeiter- und Soldatenräte als Antwort auf den 1. Weltkrieg, seine Ursachen und Folgen.
Neben eigenen Variationen über das Volkslied-Motiv „Die Gedanken sind frei” spielte der Cellist Martin Bärenz ein Stück aus den „Images de Menton” von Siegfried Barchet zum Beginn des zweiten Programmabschnitts, der den Neubeginn nach dem zweiten Weltkrieg zum Thema hatte
Die Nachkriegs-Jazz-Metropole Mannheim und die Nachkriegszeit überhaupt lässt Ralf Ehret von „Querbeat” mit dem Louis Amstrong-Klassiker „What a wonderful world” wieder aufleben
Horst Steffens (Kurator der TECHNOSEUM-Ausstellung über die Geschichte der Arbeiterbewegung) kommentierte eine 10-minütige Filmsequenz über eine 1. Mai-Kundgebung im Mannheimer Eisstadion, 1963, dem Jahr des großen Metallerstreiks in Baden-Württemberg
Zum gesellschaftspolitischen und auch gewerkschaftlich-kulturellen Aufbruch der 70er und 80er Jahre interpretierten Angi und Simone (Querbeat) mit beeindruckendem zweistimmigem Gesang die Antikriegshymne „Mr. President” von Pink. Live begleitet von Jan Lindqvist an der akustischen Gitarre
ZEITSPRUNG: vom AlstomChor (Einblendung vom Solikonzert im Capitol vor 10 Jahren am oberern Bildrand) zum heutigen Chor GEgenwehr (unten links). „Unsre Chance – Résistance”, seit 13 Jahren zusammen mit Bernd Köhler
Großes Programmfinale: Die Songs „Blauer Planet” und „Keine Wahl” beenden die zweieinhalb-stündige Zeitreise durch die Gewerkschaftsgeschichte in Mannheim und in Deutschland. Im Hintergrund der Chor GEgenwehr. Vorne von links : Martin Bärenz, Joachim Romeis, Bettina Franke, Bernd Köhler, Jan Lindqvist, Laurent Leroi, Christl Marley und hinten Chor-Akkordeonist, Helmut Hoffmann
Kultur zum Mitnehmen im Foyer: der CD-, LP- und Bücherstand von JumpUp. Die engagierten Kulturaktivisten aus Bremen, die unter anderem auch die CDs von Bernd Köhler und ewo2 vertreiben, waren extra zur Aufführung nach Mannheim gekommen
> KONTAKT UND INFO (www.jump-up.de)
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Den schönsten und poetischsten Kommentar
zur Veranstaltung am 01. Oktober schrieb Karl-Heinz Royen vom Bücherladen-Neckarstadt. Dieses Gedicht möchte ich euch nicht vorenthalten ;)
Lieber Bernd,
die Veranstaltung im Capitol vom 01.10.2016 warunglaublich,
unerhört,
unwahrscheinlich,
unumwunden,
unverschämt,
unvorstellbar,
wahnsinnig,
'gut' wäre zu läppisch,
'beeindruckend' zu abgeklärt,
hier kann einem nur noch die Jugendsprache aushelfen
super-, hyper-, ultra- scharf, toll, irre, geil, stark - was Du willst.
Gruß
K-H
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